"Vi seiler til Norge"
02.03.2019 15:15 von Christoph v. Hören
Mit der Maltzahn nach Norwegen zum Risør Trebåtfestival
Donnerstag, 19. Juli. Hamburg-Oevelgönne - Glückstadt. 32 Seemeilen.
Die Reise beginnt eigentlich schon am Abend vorher. Die gesamte Crew ist bereits an Bord. Kleine Vorbereitungen werden getroffen, die Leesegel in den Kojen angebracht, der Außenborder geprüft und die Klopumpe reisetauglich gemacht. Morgens um 10 Uhr soll es losgehen. Die Crew: Tilmann als Skipper, Stefan und Henning als Wachführer, Anja und Friedhelm an der Maschine und Heike, Andreas, Kristina und ich in den jeweiligen Wachen. Morgens werden wir von einem Crewmitglied unseres Schwesterschiffes Astarte begrüßt, der mit dem Fahrrad nach Stralsund unterwegs ist. Außerdem kommen ein paar Weggefährten aus dem Museumshafen. Der Wind weht aus NW und ist stärker als gedacht. Segelbar. Im Hafen grüßt uns die WS 35 und wünscht uns eine gute Reise. Wir kreuzen mit großem Klüver die Elbe hinab, auf der recht viel Verkehr ist. Ab und zu muss die Maschine hinzu, aber im Wesentlichen wird es einer schöner Segeltag. Bei den Strommasten werden wir von einer Drohne gefilmt. Die Bilder stehen symbolisch für einen ruhigen und angenehmen Aufbruch. Um nicht gegen die Tide angehen zu müssen, ankern wir hinter Pagensand Nord. Und werden kulinarisch mit „Kjøtbullar med Kartoffler og Vegetabilsk etter Type Obmann“ belohnt. Milchzahn, der tagsüber das „Nachsehen“ hatte, wird an Bord geholt. Dank innovativer Technik unseres Skippers steht das Ankerauf-Manöver unter dem Motto „Kurbeln statt Pumpen“. Mittels einer durch Langspleiß zu einem „Riemen“ umfunktionierten Leine nutzen wir die Netzwinde und die äußere Rolle des Spills für das Manöver. Wieder in Fahrt entdecken wir am Ufer ein schwimmendes Pferd, sichtlich erschöpft. Wir informieren die Feuerwehr, die Landeinheiten und ein Boot schickt. Über Funk erfahren wir von der erfolgreichen Rettung des Tieres. Zum Sonnenuntergang motoren wir in Glückstadts Außenhafen.
Freitag, 20. Juli. Glückstadt - Außenelbe (Tonne 19, Mittelrinne). 36,8 Seemeilen.
Gemütlich um halb elf verlassen wir Glückstadt, noch mit akzeptablen Segelwind, der uns allerdings noch vor Brokdorf verlässt. Mehr treibend als segelnd wird jede rote Tonne zur Herausforderung. Hinter Brunsbüttel gehen wir auf der Neufelder Reede kurz vor Kippen der Tide vor Anker. Besan und Groß lassen wir stehen, fieren nur die Pieken etwas ab. Sehr traditionell! Nachdem am Mittag schon die Stettin an uns – ebenfalls in Richtung Helgoland – vorbeigezogen ist, sehen wir nun Anna elbaufwärts gehen und Maik, ein weiterer Skipper, kommt uns mit seinem eigenen Segelboot besuchen. Der MHOe lässt grüßen. Zum Tidenwechsel am Abend geht es weiter. Und wie! Während ich mit meiner Wache in die Koje gehe, erfreut sich die andere mit 9 -10 Knoten an einer Eins-A-Rauschefahrt, vorbei an Cuxhaven hinaus auf die Außenelbe. Alles knapp außerhalb des grünen Tonnenstrichs. In der Koje höre ich das Plätschern, den Wellenschlag der Nordsee und mir wird ganz wehmütig zu Mute. Solange waren wir nicht mehr mit dem Kutter so weit, so lange und so grenzenlos unterwegs. Nicht jeden Abend ein Hafen, nicht kurze Tagestörns. Einfach mal weiterfahren...
Samstag, 21. Juli. Außenelbe - Helgoland. 28,5 Seemeilen.
Um Mitternacht übernimmt meine Wache. „Die Hundewache“ geht bis 6 Uhr früh. Wir fahren in zwei Wachen á sechs Stunden, die sich mittags auf zweimal 3 Stunden verkürzen, damit für alle die Tages und Nachtzeiten wechseln. Kaum an Deck begegnen wir einer komplett bunt leuchtenden AIDA auf dem Weg nach Hamburg. Wir folgen der grünen Seite noch ein paar Tonnen und queren dann das Fahrwasser. Bei Bake 7 nehmen wir Kurs auf Helgoland. Einen Fischer müssen wir umgehen. Das Wasser ist ein wenig kabbelig. Am Horizont kommt ganz allmählich die Dämmerung auf. Um kurz nach 5 Uhr segeln wir in den Vorhafen ein. Nach Segel bergen, Festmachen und Schiff aufklaren geht die Sonne auf. Zum frühen Frühstück gibt es die Reste vom Vorabend, von Anja als Kartoffel-Blumenkohl-Stampf „5 Uhr 55“ verarbeitet, und ein Anlegerbier. Irgendwann am Vormittag schälen wir uns wieder aus der Koje. Die Weiterfahrt wird vermutlich am Montagabend stattfinden. So haben wir ein ganzes Wochenende auf der Hochseeinsel. Zeit für kleinere Arbeiten am Schiff, Zeit für viel Faulenzen und Schlaf nachholen. Die Tagesgäste von Halunder Jet bewundern auf ihrem knapp bemessenden Weg auf und von der Insel unseren Kutter. Einkäufe werden getätigt, die Insel erkundet, erneut oder auch zum ersten Male. Neben „uns“ macht ein Einhandsegler fest. Ein kurioses Schiff. Keine Leine passt zu der anderen. Auch die Stettin ist mittlerweile da. Und dampft am Nachmittag wieder in Richtung Cuxhaven davon. In der Crew macht sich leider eine Erkältung breit.
Sonntag, 22. Juli, Helgoland.
Wir erwachen bei blauem Himmel und bestem Sonnenschein. Der Wind hat etwas gedreht. Die Crew geht auf Landgang. Den Skipper hat es ordentlich erwischt. Anja hilft zum Mittag mit einer Hühnersuppe. Der Nachmittag bringt wieder ein paar Schiffsarbeiten mit sich. Aber man kann auch einfach träge durch den Tag kommen. Morgen geht es weiter.
Montag, 23. Juli. Helgoland - Nordsee, westlich des Windparks „Butendiek“ (Höhe Sylt). 53,4 Seemeilen.
Um 8 Uhr morgens legen wir ab. Kurs: Norwegen. Möglichst direkt, möglichst ohne Unterbrechungen. Unter Vollzeug, also mit großem Klüver, Groß, Besan und beiden Topsegeln versuchen wir dem schwachen Wind das Bestmögliche zu entlocken. Leider ist das recht wenig und die lange Anna entschwindet nur ganz langsam hin zum Horizont. Die querkommende Restdünung nervt. Die Leder an den Klauen beider Gaffeln veranstalten ein mit viel Knarren und Quietschen ein grauenvolles Konzert. Zu wenig Fetten rächt sich. Ansonsten gibt es nicht viel zu sehen. Nur Meer. Und Windparks. Den ersten nehmen wir knapp leeseitig und werden über Funk zum vorgeschriebenen Abstand gemahnt. Weiter nordwärts fährt ein Schiff undurchsichtige Manöver. Über den Schiffstyp – Standby Vessel – wird das Tun klarer. Vom Himmel brennt die Sonne. Der Wind bleibt schwach, bis er praktisch ganz einschläft. Einziger Vorteil dieser langsamen Fahrt: Es kann geangelt werden. Und wer sagt's denn! Friedhelm fängt 5 Makrelen unterschiedlicher Größe. Einen Schlag mit dem Belegnagel, ausgenommen und küchenfertig kommen sie bis zum nächsten Tag in die Kühltruhe. Weil der Wind fehlt, werfen wir nun doch die Maschine an. Eigentlich sollte die bis Norwegen schweigen. Tilmann ist nicht zufrieden. Aber was soll man machen.
Dienstag, 24. Juli. Nordsee, westlich „Butendiek“ - Nordsee, südlich Thyborøn (Limfjord).
Morgens brist der Wind auf. Wir setzen Vollzeug und werden nach und nach schneller. Der Wind hat auf SW gedreht. Die Dünung ist immer noch etwas unangenehm. Und die Sonne brennt weiterhin. Was für ein Sommer! Friedhelm ist ein großartiger Angler. Fisch für Fisch holt er mit denen vom Vortag 23 Makrelen an Bord, manchmal fünf auf einmal. Mittags gibt es somit gebratene Makrele satt. Um uns herum gibt es allmählich wieder mehr Schiffsverkehr. Wenn alles klappt, sind wir morgen Mittag in Norwegen.
Mittwoch, 25. Juli. Nordsee, südlich Thyborøn – Kristianssand. 101 Seemeilen.
Beim nächtlichen Topsegelbergen zerrt sich Tilmann schmerzhaft seinen Rücken. Wieder einmal geht es nur mit der Maschine weiter. Bei Dämmerung können wir wieder Segel setzen und kommen mit gut 4 Knoten anständig voran. Der Wind weht stetig, so kann die Pinne per Taille festgesetzt werden. Wir befinden uns mitten zwischen Nordjütland und Südnorwegen – da bekomme ich seit Tagen zum ersten Mal wieder Netz. Grüße Nach Hause werden übermittelt. Etwas später entdeckt Henning am Horizont (etwas, was ich für Wolken hielt) Land. Die See nimmt zu. Der Wind kommt aus NW. Wir fahren ins Skagerrak. Der Name ist geschichtenumwoben. Viele viele Wracks liegen unter uns. Tilmann erzählt uns, wie das Wetter von Westen auf das norwegische Festland prallt, um die südliche Küste abgelenkt wird und dort für kräftigen Wind und Seegang sorgt. Innerhalb kürzester Zeit ändern sich die Bedingungen. Die Welle steigt auf einen Meter, Schaumkronen, Maltzahn reitet durch das Wasser, das Deck von der Gischt gut benässt. Am Horizont der lange Landstreifen. So rauschen wir mit 8 bis 9 Knoten der norwegischen Küste entgegen, bis vor den Fjord vor Kristianssand. Idyllische Inseln mit Häusern und Leuchttürmen kommen ins Sicht. Viel Nadelwald – Land, ich kann es riechen, nach so vielen Tagen auf See. Das schöne Bild wird von einem Funkspruch getrübt. Wir müssen der Küstenwache einen detaillierten Plan über unsere Ziele und Ankunftszeiten mitteilen, vorgeschrieben bei Schiffen über 24 Meter Länge oder 50 BRT. Für den Skipper bringt das einiges an Zeit mit sich, wo er sich mit bürokratischen Formularen herum nerven muss. Wir können uns also nicht ganz frei und ungebunden an der Küste entlang bewegen. Der viele Bootsverkehr in den Schären wirkt nach den Tagen Einsamkeit befremdlich. Es motort von links nach rechts und umgekehrt. Ein Treiben wie in der Fußgängerzone – nur auf dem Wasser. Für die Norweger ist das ein Volkssport, oder eher obligatorisch, da viele Bezugspunkte auf Inseln liegen und gar nicht anders erreichbar sind. So werden auch die Kinder möglichst früh an diese Fortbewegungsmittel herangeführt. That it's! Wir haben Schwierigkeiten, unseren zugewiesenen Liegeplatz zu finden. Der befindet sich am Ende im Wirtschaftsteil des Hafens, in einem speziell gesicherten Bereich. Rein kommen wir hier nur mit einer speziellen Karte, die der Hafenmeister für den nächsten Tag verspricht. Wir liegen an einer Pier, an der Zoll und Polizei ein und aus gehen. Neben uns hat eine moderne teure Yacht festgemacht, in Größe und Abmaßen gar nicht so anders als unser Kutter, in der Technik und Handhabung Lichtjahre von uns entfernt. Ein junges Paar an Bord beäugt uns freundlich, aber auch skeptisch. Ein Teil der Crew umgeht das Gitter mit dem zu Wasser gelassenen Milchzahn und macht einen abendlichen Ausflug in die Innenstadt. Vorher aber gibt es natürlich ein Anlegerbier oder -wein und – großartig! - von Anja im Vorwege eingemachtes Gulasch mit Spätzle. In Sichtweite legen die großen Fähren ab und an und wir genießen den Abend entspannt an Deck.
Donnerstag, 26. Juli. Kristianssand.
Wir bleiben heute im Hafen. Es gibt viel Zeit für Landgänge und Arbeiten am Schiff. Die Sonne brennt nach wie vor, so dass wir die Topsegel als Sonnendach nutzen. Maltzahn sieht aus wie ein Beduinenzelt. Ich gehen – nach einer Woche unterwegs – zum ersten mal an Land. Einkaufen. Den Ort erkunden. Norwegen ist das Land des Fisches. Wenn auch alles andere recht teuer ist, schlägt der Fisch Hamburger Preise. An Bord wird die Schleppleine von der Netzwinde ausgetauscht. Henning fertigt eine neue Festmacherleine. Anja entdeckt, dass bei der gestrigen Rauschefahrt Wasser in ihre Klamottentasche gelaufen ist. Andere machen Waschtag. Das Deck ist bunt dekoriert. Nähte werden gedichtet. Die Topsegelspieren neu geriggt. Nach dem Abendessen gehen einige auf Landgang, andere auf „Seegang“, will heißen: Milchzahn-Wriggen durch das Hafenviertel. Auf ein Bier für 10 Euro, aber kristianssandsgebraut.
Freitag, 27. Juli. Kristianssand - Grimstad. 38,5 Seemeilen.
Unser Ziel war es, schnell Norwegen zu erreichen, um möglichst viel Zeit für die Sunde und Fjorde zu haben. Wir beginnen unsere Fahrt entlang der Küste. Der Wind hat auf NO gedreht. Dem wollen wir mit einem langen Schlag hinaus und einem Anleger begegnen. Nach der Wende geht der nächste Schlag leider wieder auf Kristianssand zu, so sehr versetzt uns der seitliche Strom zurück. Grund – der Skipper findet es heraus - ist der Salzaustausch zwischen Nord- und Ostsee, der zu einem halben Knoten Gegenstrom führt, mit dem Wind aber zu deutlich mehr. So wird es eine Maschinenfahrt, immer mit Blick auf bewaldete Felsen, Inseln, winzige Orte. Unser Ziel, Grimstad, liegt wieder in einem Fjord. Je näher wir kommen, wächst die Idylle rundherum. Die Kleinstadt verteilt sich über mehrere hügelige Buchten. Wir finden zentral einen Liegeplatz, mit einem Supermarkt gleich nebenan. Wir lassen Milchzahn wieder zu Wasser und Henning schlägt das Rigg an. Hier lässt es sich prima segeln. An Land ist Kinderfest mit Karussell, Trampolin und Hüpfrutsche. Ein alter Dampfschlepper legt an.
Samstag, 28. Juli. Grimstad.
Zum Frühstück gibt es Rührei mit Schnittlauch. Ich gehe an Land und gleich hoch auf den Hügel „Vardeheja“. Auf einer Tafel findet sich ein Wort aus Ibsens Drama „Ein Volksfeind“: „ Matrosen sind wie Zugvögel; sie fühlen sich in allen Breiten gleichermaßen zu Hause.“ Hmm. Das Gras, die Bäume und die Heide duftet. Vor mir öffnet sich ein grandioser Blick auf die Bucht. Unten die Maltzahn. Man kann die Leute an Deck erkennen. Der Ort entpuppt sich mit seinen Holzhäusern als sehr pittoresk. In einer Buchhandlung erstehe ich einen Bildband eines Marinemalers aus einem Nachbarort. Weiter geht es am Hafen der Promenade entlang. Das Leben an den Luxusyachten ist schon eine Pause wert. Grimstad ist - und das lässt mein buchhändlerisches Herz höher schlagen – eine literarische Stadt. Ibsen und Hansen waren hier. Im Supermarkt kaufe ich Rentierfleisch und Pilze. Dazu gibt es Nudeln. Andreas trifft im Ort zufällig auf Bekannte, die wir zum Essen einladen. Abends poltert am Horizont ein Gewitter.
Sonntag, 29. Juli. Grimstad - Arendal. 16,5 Seemeilen.
Die beiden Orte liegen nicht weit auseinander. So wird es ein Halbtagestörn. Heute ist „Ladiesday“, so haben es die drei Frauen an Bord beschlossen. Soweit - wie möglich - wollen sie alles alleine wuppen. Nur hin und wieder dürfen wir Männer mit zupacken. Es wird ein schöner Segeltag. Und wir haben Gäste. Andreas' Bekannte verschönern sich ihren vorletzten Urlaubstag mit einem Kurztrip. Am Horizont tauchen erste Gaffelsegler auf; wir werden sie in Risør wiedersehen. Ebenfalls Boy Leslie, ein Brixham-Trawler, vom Alter, den Maßen und seinem Werdegang ähnlich wie Maltzahn und ebenfalls als Fischer unterwegs. Den Tag beschließt Andreas mit Nürnberger Würstchen, Kartoffelbrei und Sauerkraut.
Montag, 30 Juli. Arendal - Tvedestrand. 15 Seemeilen.
Wir laufen erst mittags aus, also ein klein wenig Zeit für letzte Besorgungen (z.B. Brötchen und Brot für - sage und schreibe - 45 € - Wow!). Zurück an Bord fällt der erste nennenswerte Regen während der Reise, ein angenehmer Sommerregen bei endlich mal bedecktem Himmel. Wir nutzen hinter der vorderen Küstenlinie einen langen Sund, um nach NO zu kommen. Der Wind fehlt, also unter Maschine. Ein kurzes Stück durch die Schären ist sehr spannend. Felsen backbords, Felsen steuerbords, Wellen von quer, aber eine Menge Seezeichen. Das Rudergängerherz pocht ordentlich. Der Fjord nach Tvedestrand ist super schön. Immer wieder schlängelt er sich zur einen oder anderen Seite, eröffnet neue Blicke, an den Ufern viel Wald und hier und dort Häusergruppen, wo man sofort einziehen würde. Am Ende dann der Ort, sich an drei Seiten die Hügel hochziehend. Tilmann hatte per Telefon für einen Liegeplatz gesorgt. Der stellt sich als schlichter Schwimmsteg für Sportyachten heraus, eigentlich nicht für unsere Größe geeignet. In unsere Erinnerungen suchen wir vergeblich nach maltzahn'schen Präzedenzfällen und behandeln das zarte Teil sehr fürsorglich. Nicht weniger als ein Dutzend Leinen werden am Steg festgemacht. Das Abendessen gibt es heute stilvoll auf Picknicktischen an Land. Ein schöner Holzkutter besucht uns vor seiner Ausfahrt. Wie auch die Tage zuvor ist unser Schiff ein Hingucker sondergleichen. Viele lesen die Tafel mit der auf englisch gehaltenen Historie.
Dienstag, 31. Juli. Tvedestrand - Risør. 18,6 Seemeilen.
Wir motoren die sechs Seemeilen von Tvedestrand zurück und biegen kurz vor der offenen See in einen weiteren Sund parallel zur Küste ab. Segeln ist heute bei abnehmenden Wind aus nördlichen Richtungen nicht wirklich möglich. So liegt eine Maschinenfahrt vor uns, mit engen Passagen und tückischen Untiefen. Zwischendurch erlauben wir uns einen Abstecher nach Lyngør, einem malerischen Ort auf mehreren Inseln, der nur mit dem Boot erreichbar ist und von einem schmalen, fast kanalartigen Sund durchzogen wird. Hier – wie überall, wo wir vorbei kommen – blicken die Menschen auf oder treten vor ihre Häuser, schauen, winken und erfreuen sich an dem schönen Schiff. Entgegenkommende Boote oder mitlaufende Schiffe – nicht selten kommen sie heran und winken; man fühlt sich besonders. Allerdings gehört es in Norwegen – mehr noch als bei uns – zum guten Ton im Miteinander auf dem Wasser sich freundlich zu grüßen. Kurz vor Risør liegt noch ein kurzes Seestück. Die Welle kommt ordentlich quer, die Netzwinde klonkert hin und her. Vom weiten sieht der Ort gar nicht so schön aus, entpuppt sich aber beim Näherkommen als weiße Perle. Häuserzeilen ziehen sich den Berg hoch. Die Werft mit einem weißen Kran dominiert die Hafenlandschaft. Vor 150 Jahren gab es einen verheerenden Brand in der Stadt. Danach wurden die Häuser in ähnlichem Stil – weiß und aus Holz – wieder aufgebaut. So ergibt sich ein harmonisches Gesamtbild, in das ein Holzbootfestival perfekt hineinpasst. Wir sind einen Tag zu früh, haben somit noch keinen reservierten Liegeplatz. Am Aquarium finden wir einen guten Platz für die Nacht. Da die Maschine noch schön warm ist, prächtig geeignet für das Ruhen eines Hefeteiges, macht Anja zum Abend hin die bei uns allen sehr beliebte Pfannenpizza. Also ganz viele davon! Später zieht ein Gewitter auf und starker Regen treibt uns kurzzeitig unter Deck.
Mittwoch, 1. August. Risør - Moen. 8 Seemeilen.
Moen ist ein kleiner Ort mit mehreren traditionellen Holzwerften acht Seemeilen landeinwärts. Dort findet jedes Jahr am Vorabend des Holzbootfestivals eine Zusammenkunft statt. Lars Gronvøld ist Hauptorganisator des Festivals und Besitzer der Moen Trebåtbggeri AS, eine der 4 Werften. Er hat uns eingeladen, wir sind gespannt und machen uns auf den Weg. Ohne Maschine legen wir unter Segeln ab, knifflig, doch gekonnt (backstehende Fock, Setzen des Klüvers, aufgefierter Besan, Halse... - eine Menge zu tun). Leider fehlt uns die Zeit und zwischen den Hügeln des Fjordes weht der Wind eher schwach, so dass wir den größten Teil dann doch motoren müssen. Moen besteht nur aus wenigen Häusern. Wir machen an dem viel zu kleinen Steg fest. Hier treffen wir auch auf den Belgier Willem, der eine noch weitere Anfahrt zum Festival hatte. Wir bekommen eine Werftführung und sind beeindruckt von der Originalität des Ganzen. Eine Schmiede mit Esse, eine Bandsäge, deren Sägeblatt gekippt werden kann, eine Halle, in der auch unser Kutter Platz hätte. Lange Zeit wurden hier Holzboote aller Art gebaut, bis die einsetzende Motorisierung die Werften zwang, auf kleinere Boote umzustellen. Einige von uns lockt ein Bad im Fjord. Zum Abend gibt es Shrimps satt, mit Brot und Mayonnaise. Getränke bringt sich jeder selbst mit. 50 Leute sitzen an langen Tischen und lassen es sich gut gehen. Fast alle sind über Land gekommen. An einem kleinen Stand gibt es Werft-Shirts und ein paar Bücher. Da muss ich natürlich gucken. Anschließend gibt es in der Werfthalle ein kleines Konzert. Alex und Maria (Gitarre und Gesang) präsentieren ein paar schöne Lieder. Schon die ganze Hinreise hatte sich unter meinem mitgenommenen norwegischen Liedgut ein Song zu einem echten Ohrwurm entwickelt: „Into the sea“ von Sivert Høyem. Beim Kochen in der Pantry mussten meine Mitreisenden unter meinem Mitgesinge leiden. Und nun werde ich genau von diesem Song überrascht, den es sogar als Zugabe ein zweites Mal gibt. Das alles malerisch vor der Kulisse von Milch- und Maltzahn.
Donnerstag, 2. August. Moen – Risør. 8 Seemeilen.
Wir verlassen Moen im Konvoi. Mit dabei ein Fischkutter, den wir auch schon in Arendal gesehen haben, und Willem mit seiner Yacht, die bald ein wenig zurückbleibt. Anja und Henning nehmen den Milchzahn und segeln die gesamte Strecke durch einen Nebenarm zurück. An einer Brücke müssen sie sogar den Mast legen. Dieser Weg bleibt natürlich der Maltzahn verwehrt. Zurück in Risør ist unser Liegeplatz noch nicht frei. Also machen wir wieder am Aquarium fest, wo zwei weitere größere Segelschiffe liegen. Tilmann und Andreas sondieren die Lage. Am uns zugedachten Liegeplatz gab es am Vortag ein Ramming und Streit. Diplomatisch soll nun verzichtet werden, ein so großes Schiff wie das unsere an einen so zarten Schwimmsteg zu legen, wo der Ärger passiert ist. Da den Organisatoren die Anwesenheit der Maltzahn sehr wichtig ist (wir bekamen sogar einen Artikel in der Festivalzeitschrift), soll unser Kutter im Zentrum liegen. Ein Platz ist anvisiert, nur liegen dort ein antikes dänisches Kanonenboot und eine königliche Yacht der Norweger. Die Diskussion dauert den ganzen Tag, dann ist entschieden, wir können dorthin, allerdings erst nach Eröffnung der Feierlichkeiten. Da die Yacht dem Militär und dem Königshaus unterstellt ist, war ein Funkspruch über den Ortswechsel in beide Richtungen obligatorisch: Sie hätten wegen eines deutschen Segelschiffes den Liegeplatz mit diesem tauschen müssen! Eine Supergeschichte, die nirgends für böses Blut sorgte. Das Verholen ins Hafeneck ist Präzisionsarbeit. Gedreht und vorbei an den römisch-katholisch festgemachten Segelbooten, die um ihre Buganker bangen, schieben wir uns an den Steg und die Risør II. Ein Ring am Steg hält die Leine nicht und reist aus, zwischen dem Colin Archer und unserem Kutter bleibt am Ende nur Platz für einen plattgedrückten Kugelfender. Auf dem Steg werden später kräftigere Klampen montiert. Nun liegen wir mitten im Geschehen, mit guter Sicht auf die fünfzig Meter entfernte Hauptbühne. Auch auf der Risør II neben uns wird Musik geboten. Auf allen Seiten des Hafenbeckens viele kleine Stände, die das maritime Herz höher schlagen lassen. Und im Wasser viele liebevoll gepflegte Holzboote, Motoryachten und Segelboote, die in der Sonne glänzen. Friedhelm sagt, ihm tränen die Augen. Ab heute ist Crewwechsel. Tom kommt, morgen geht Heike und Merten kommt. Nun - für die ganze Crew ist es ein „Ankommen“. Erst war es nur eine Idee, ein Traum, diese Reise nach Norwegen und zu dem Festival. Mehrere Jahre verschoben (auch schon frühere Crews träumten...) sind wir nun da. Wie schön! Also mal schauen, was hier los ist.
Freitag, 3. August. Risør.
Morgens bekommen wir Brötchen gebracht. Ein neuer Tag mit viel Sonne und blauem Himmel. Anja und Henning wriggen zum Fischgeschäft nach Holmen, der Werftinsel. Heute gibt es Lachs. In Norwegen muss man doch Lachs essen – wo sonst? Für das „Open Ship“ haben wir drei Wachen eingeteilt. Nach und nach kommen immer mehr Besucher an Bord. Warum ziehen sie bloß ihre Schuhe aus? Das norwegische Schild löst es; dort steht Selbiges geschrieben. Andere Schiffe sind da wohl empfindlicher. In meiner Freizeit mache ich einen ersten Rundgang über das Festivalgelände. Das ist angenehm übersichtlich. Mehrere Werften präsentieren ihr Handwerk. Ein Schmied schürt sein Feuer. Die Rettungsgesellschaft mit ihren Colin Archer zeigen ihr Tun. Es gibt maritime Klamotten. Es gibt Motorvorführungen. Man kennt sich, man sieht sich ständig wieder. Ich fahre mit dem Fährboot zur Leuchtturminsel Stangholmen. Ein Felsen, ein Leuchtturm mit heute begehrtem Restaurant – sonst ist da nicht viel. Außer Ruhe. Auch ganz schön. Boy Leslie macht Regattabegleitfahrten, so wie wir vor Jahren in Warnemünde, allerdings ohne Segel. Nachmittags treiben uns ein paar Tropfen kurzfristig unter Deck. Zum Abendessen kommt Merten an. Der Abend wird lang. Eine Countryband macht gute Stimmung. Unser Bootsnachbar sagt, später spiele auch noch seine Tochter. An Bord lässt es sich gut aushalten.
Samstag, 4. August. Risør.
Lars von der Organisation besucht uns beim Frühstück. Wir fragen nach Festival-T-Shirts, Er verspricht nachzufragen. Ich laufe nach Holmen hinaus, um Fisch zu holen. Heute Abend gibt es „Lyr“ (Pollack). An Bord erfreut Henning die Besucher mit Fancywork. Tom und Tilmann gehen mit der Risør II auf eine Regatta. Das „Ausparken“ aus der Lücke, vor uns die Royale, hat schon etwas von Hafenkino. Zurück ist die Begeisterung der beiden doch etwas verhalten. Jede Crew segelt eben anders. Habe ich es erwähnt: Die Sonne brennt wieder gnadenlos. Eine Tortur, das Finkenwerder Fischerhemd zu tragen, in dem wir uns allerdings gerne präsentieren wollen. Abends ist der Kai voller Menschen. Die Menschen sitzen sogar auf unserer Schanz. Trang Fødsel scheint das diesjähriges Highlight des Musikprogramms zu sein und heizt ordentlich ein. Danach werden die verschiedenen Regattasieger geehrt. Und Tilmann wird auf die Bühne geholt; 90 Jahre Maltzahn werden ebenfalls geehrt.
Sonntag, 5. August. Risør - Nordsee, 4 Seemeilen vor Skagen. 87,8 Seemeilen
Das Festival ist zu Ende. Um 9 Uhr wollen wir auslaufen. Vorher muss die königliche Yacht verholen, sonst kommen wir nicht raus. Der Skipper sagt für beide Segel ein Reff an. Wir fahren durchs berüchtigte Skagerrak. Es ist mit Welle zu rechnen. Beim Verlassen des Hafens winken wir Lars und Willem zu. Das war also Norwegen. Schön war's. Der Wind aus NW, später W, bringt uns langsam aus dem Fjord heraus und dann parallel zur Küste. Nach einer Halse (schließlich wollen wir südwärts und nach Schweden) legt der Wind zu und das Schiff kommt in Fahrt. Die Wellen rollen seitlich an und mir wird allmählich übel. Irgendwann setze ich mich unter Deck in den Salon, klemme mir eine Pütz zwischen die Beine und gebe fünf Stunden lang halbstündig Unappetitliches von mir. Wasser und ein bisschen Essen hilft.. Andreas hat es auch getroffen. Er bleibt an Deck. Der Wind nimmt weiter zu (5-6), die Wellen erreichen 2 Meter. Ab und zu steigt eine ein. Unter Deck tropft es überall. Der Kutter pflügt mit 10 Knoten (teilweise mehr) durchs Wasser. Dass wir so schnell vorankommen, damit hat Tilmann nicht gerechnet. Er möchte nicht im Dunklen durch die schwedischen Schären, somit nehmen wir Kurs auf Skagen. Eine Welle überrascht am Spiegel die sich ausruhende Crew und spült sie nach Lee. Stefans Rettungsweste wird ausgelöst. Dem Rudergänger schlägt es die Füße weg. Alle werden nass.
Montag, 6. August. Nordsee, 4 Seemeilen vor Skagen - Skagen - Kattegatt, 1 Seemeile nördlich von Tonne No. 2. 22,9 Seemeilen.
Kurz nach Mitternacht laufen wir in Skagen ein. Der Hafen ist groß und unübersichtlich, aber schließlich finden wir beim Segelclub ein Plätzchen. Auf der einen Seite viele kleine Fischer, auf der anderen große Trawler. Es riecht nach Fisch und die Möwen kreisen. Nach einem Teller Suppe fallen alle in ihre Kojen. Ein heftiger Ritt war das!
Frühstücken tun wir entsprechend spät. Draußen fängt es an zu regnen. Die Dänen sagen, der erste seit 40 Tagen. Schlechte Bedingungen, all die nassen Sachen zu trocknen. Die Windvorhersage lässt uns beschließen, noch heute Abend weiterzusegeln. Göteborg kommt wieder ins Spiel. Danach, mal schauen. Ich empfehle allen, die schönen Straßenzüge mit ihren gelben Häusern zu besuchen. Skagen ist in jedem Falle eine Reise wert. Beim Klarmachen des Klüvers entdecken wir, dass der Vorläufer der Steuerbordschot fast durchgerieben ist. Henning spleißt ein neues Stück ein.
Die dunklen Wolken verziehen sich und die Sonne kommt heraus. Im Vorhafen beginnen wir die Segel zu setzen, müssen unser Manöver allerdings unterbrechen, als ein eben noch festliegendes Schiff rückwärts raussetzt. Es wird eine schöne Segeltour. Mit guten sechs Knoten verlassen wir Dänemark. Im Kattegatt ist sehr viel Verkehr. Fischer hier und da und eine Menge Schiffe in Nord-Süd-Richtung. Einige Fähren kreuzen unseren Weg. Über uns ein schöner Sternenhimmel und eine Mondsichel, die ihr Licht bis zum Horizont wirft.
Dienstag, 7. August. Kattegatt, 1 Seemeile nördlich von Tonne No. 2 - Göteborg. 25,1 Seemeilen.
Zwei Leuchttürme weisen uns den Weg. Leider nimmt der Wind mehr und mehr ab. Auch das Ausreffen bringt nicht wirklich mehr Fahrt ins Schiff. In der aufkommenden Dämmerung ist die Küste mir ihrem weiten Schärengarten vor der Stadt gut erkennbar Die lange Einfahrt nmach Göteborg laufen wir unter Maschine. Rechts und links gibt es viel zu sehen. Eine Inselfestung bleibt seitlich liegen. Die Stena Line kommt uns entgegen. Wir unterqueren eine große Brücke und machen um 9 Uhr neben der Oper fest. Anlegebier, Koje. Die Nacht bin ich trotz Freiwache wach und an Deck geblieben und habe das sehr genossen. Unser Liegeplatz vor der Viking, einem ehemaligen Großsegler, und nahe der Innenstadt ist optimal. Allerdings sieht Maltzahn für die Touristen nicht gerade einladend aus. Überall – und wirklich überall – hängt Wäsche, stehen Matratzen, ballen sich Bettdecken über Leinen, Bäumen und wo es immer auch geht. Die Touris fotografieren trotzdem. Was kann unseren schönen Kutter schon verschandeln?! Ab mittags habe ich Landgang. Erstes Ziel: die Viking. Die Ernüchterung folgt sogleich: Heute ist es ein Hotelschiff, keine Besichtigung möglich. Der Hafen mit maritimen Erbe sieht nicht gut in Schuss aus. Ein paar Schlepper, ein Kriegsschiff, ein Feuerschiff, ein Fahrgastschiff. Ich passiere den Kai und wende mich an einem Kanal der Innenstadt zu. Seitlich der breiten Straßen mit ihren Prachtbauten gibt es enge, schattige Gassen. Ich entdecke einen schönen Hof mit Töpferwerkstätten und anderem Kunstwerk. Hier steht das älteste Haus Göteborgs, das Kronhuset von 1654 (schön, die Buntglasscheiben). Zum Abend koche ich „falschen Schweinewal“, fischig-speckige Tomatensoße mit Nudeln.
Mittwoch, 8. August. Göteborg
Wir bleiben einen zweiten Tag in der Stadt. Die Strecke übers Skagerrak und auch die Festivaltage stecken uns noch in den Knochen. Ein weiterer Tag zum Ausruhen tut gut. In der Stadt ist es schwül, es tröpfelt leicht. Ich setze mich für eine ganze Zeit in den Stadtgarten, besuche das antike Palmenhaus und den Rosengarten. Mal kein Wasser zu sehen und die Pflanzen zu riechen ist ein wohltuendes Kontrastprogramm. Die Markthalle ist grandios. Dort mache ich Mittag, mit typisch schwedischem Gulasch, Kartoffeln und Roter Beete. Die Stadt ist voller Touristen; besonders die Einkaufsstraßen verweisen auf Schwedens zweitgrößte Metropole. Überall wird Musik gemacht. Anscheinend Musikstudenten geben hier und da koordiniert kurze Konzerte, die das Umherstreifen versüßen. An unserem Liegeplatz ist reger Verkehr. Die Älvsnabben (übersetzt klingt es nicht mehr so süß), Göteborgs Personenfähren, kommen und gehen. Ausflugschiffe legen an und ab. Flache offene Boote machen Rundtouren durch den Hafen und die Kanäle.
Donnerstag, 9. August. Göteborg - Varberg. 48,9 Seemeilen.
Wir brechen früh um 5 Uhr morgens auf. Der Wind soll im Laufe des Tages einschlafen. Bis dahin wollen wir die Stadt weit hinter uns gelassen haben. Wir motoren ein Stückchen raus, setzen die Segel und biegen in den südlichen Schärengarten ab. Eine wunderschöne Landschaft erwartet uns. In ein wenig Windabdeckung der Inseln gleiten wir lautlos dahin. Kaum ein Plätschern ist zu hören. An Land zwitschern die ersten Vögel. Die Sonne ist aufgegangen und wirft ein angenehm seichtes Licht auf alles. Wir nehmen zur Sparbeseglung das Groß hinzu und kommen allmählich auf gute sechs Knoten. Und auf die offene See. Leider hält der Wind nicht mehr lange durch und wir werden - je langsamer wir werden – von der Restdünung ordentlich durchgeschaukelt. Ein Gutes hat es: Wir, sprich: Friedhelm und Tilmann, fangen wieder Fisch. Wieder Makrelen, ein kleiner Dorsch, ein Fisch ohne Namen – mittags sind die Teller wieder voll. Unser weg ist von massig Fischernetzen gespickt. Der Ausguck hat viel zu tun, die kleinen Fähnchen sind nicht immer gut zu erkennen und einander zuzuordnen. Ein paar Segelversuche führen zu nicht viel und so motoren wir schließlich nach Varberg. Eine mächtige Festung dominiert den Hafen. Der Ort ist ein beliebtes Kurbad. Wir finden einen guten Liegeplatz und essen – der Skipper hatte sich Fleisch gewünscht – zum Abend Schnitzel satt mit sehr leckerem Kartoffelsalat.
Freitag, 10. August. Varberg.
Wegen des heutigen Sturmtages bleiben wir einen weiteren Tag im Hafen. Draußen sind drei Meter hohe wellen, der Wind pfeift und bläst. So haben wir Zeit den Ort zu erkunden. Geprägt ist Varberg von Bäderarchitektur. Die Innenstadt besteht aus einem quadratischen Netz von Straßen. Manche Holzhäuser sind ganz schön. Nach dem Einkaufen treibt es mich auf die Festung. Der Ausblick ist sagenhaft. Das Meer ist voller Gischt und prallt gewaltvoll an die Küste. Immer wieder muss ich mich vor Schauern in ein Torhaus retten. Der Aufgang zum oberen Teil ist pittoresk mit alten Häusern gespickt. Hier wohnen sogar Leute. Oben verweile ich lange, ziemlich für mich und mit Blick aufs Meer. An der Küste sind die männer-frauen-getrennten Nacktbadestellen zu sehen, heute völlig verweist. Direkt neben dem Hafen liegt ein Kaltbadehaus im orientalischen Stil. Es steht auf Stelzen und ist über eine Brücke zu erreichen. Leider wird das Wetter die nächsten Tage nicht wirklich besser. Der Wind nicht aus optimaler Richtung mit 5-6, die heutigen Wellen noch nicht gänzlich abgebaut. Trotzdem beschließen wir morgen nach Dänemark rüberzusegeln. Ansonsten läuft uns irgendwann die Zeit weg. Es wird also schaukelig und ich verspüre keine große Lust auf diese Fahrt, was den anderen nicht groß anders geht.
Samstag, 11. August. Varberg - Grenå. 79,1 Seemeilen.
Wir verlassen Varberg früh am morgen, um den anfänglichen Wind aus SSO noch nutzen zu können. Der Sturm ist weitergezogen. Es bläst aber immer noch deutlich. Später soll der Wind drehen. In Gewitternähe tut er dann auch und zwingt uns zu mehreren Wenden. Um nicht an der schwedischen Küste haften zu bleiben, müssen wir die Maschine hinzunehmen und motorsegeln. Wind und Welle nimmt wieder zu. Über Deck läuft einiges Wasser ins Schiff und sammelt sich allmählich in der Bilge. Die automatische Lenzpumpe spielt nicht verlässlich mit. Immer wieder spritzt das Wasser hoch über die Bodenbretter. Ich bin erneut ausgeknockt, Andreas ebenfalls. An Deck wird die Pinne zeitweilig zu zweit gehalten. Wir passieren Anholt und den anschließenden Windpark nördlich und kommen mit 8-9 Knoten gut voran. Am mittleren Abend erreichen wir Grenå.
Sonntag, 12. August. Grenå - Ballen (Samsø). 39,7 Seemeilen.
In Grenå verlässt uns Andreas. Das viel Geschaukel im Skagerrak und Kattegat haben sehr an ihm gezerrt. Ihm reicht es. Betrübt und ungern lassen wir ihn ziehen. Ein Halbwindkurs mit 4-5 Beaufort verspricht gutes Vorankommen in Richtung Großer Belt. So segeln wir los und sind guter Dinge. Doch dann ist wieder alles anders als gedacht. Der Wind nimmt ab Die anfänglichen Regenschauer gehen in ein Dauernieseln über. Zwischenzeitig kommen wir noch einmal richtig in Fahrt, dann schläft der Wind komplett ein. Wir bergen die Segel unter laufen unter Maschine in Richtung Samsø. Grau der Himmel, grau das Meer, die Sicht „geht so“. Wir hoffen in Ballen einen Platz zu finden, sonst müssen wir ankern. Der Regen sorgt erneut für viel nasses Innenleben in unserem Kutter. Man fühlt sich wie in einer Tropfsteinhöhle. Durchnässt wird gnadenlos, was von uns nicht geschützt wird. Beim Einlaufen nimmt der Regen nochmal zu. Doch ein freundlicher Hafenmeister eilt uns über die Mole entgegen und weist uns unseren Platz zu. Der einzige, der überhaupt in Frage kommt. Anja hat ein Resteessen vorbereitet, so werden wir gleich mit etwas Heißem versorgt. Bald geht es in die Koje. Vorher aber ist kreatives Schaffen angesagt. Mittels Maschinenkegel, einem Trichter, einem Wasserschlauch, mehreren Wäscheklammern und einem Nagel wird an der Hauptleckstelle im Salon eine „Tropfstellenwasserabflussanlage“ zur Duschwanne hin geriggt. Sie funktioniert, in der Nacht muss die volle Wanne abgepumpt werden.
Montag, 13. August. Ballen (Samsø) - Nyborg (Fünen). 47,3 Seemeilen.
Von vorne herein ist klar: Heute wird motort, allenfalls motorgesegelt. Der Wind kommt aus Süd. Da wollen wir hin und der Große Belt gibt nicht viel Platz für Spielraum. Und wieder wird es mit Nieselregen durchsetzter Tag. Allerdings ist es deutlich wärmer. Anja überrascht uns mit selbst-“gebackenen“ Zimtschnecken. Schon nördlich von Romsø sind die Pylonen der Großen-Belt-Brücke zu erkennen. Bis wir sie erreichen, dauert es noch viele Stunden. Irgendwann starten wir eine Challenge „Wie lange dauert es noch, bis wir die Brücke unterqueren?“ Henning tippt am nächsten. Unser heutiges Ziel ist Nyborg auf Fünen. Im Hafen passieren wir einen Dreimaster, die Store Bjørn. Kaum festgemacht, haben wir auch schon Gäste an Bord. Ich koche Suppe. Oben regnet's.
Dienstag, 14. August. Nyborg (Fünen) - Kieler Bucht. 51,1 Seemeilen.
Da wir erst nachmittags los wollen, leibt ausreichend Zeit, die Stadt zu erkunden. Das lohnt sich, denn Nyborg ist ganz hübsch, besitzt viele alte Häuser, eine schöne Kirche aus dem 15. Jahrhundert, ein Schloss Befestigungsanlagen aus dem dänisch-deutschen Krieg. Riesige Kanonen stehen dort. Der Ortskern ist allerdings auch sehr touristisch. Cafés wechseln sich mit Boutiquen ab. Normale Geschäfte sind rar. Am Hafen sind neue Wohngebiete entstanden. Hier fuhr früher die Große-Belt-Fähre. Nun wächst auch hier eine Hafencity heran. Bevor wir ablegen, entdeckt Anja, dass es auf Höhe Steuerbordwant einen Gang unterhalb der Wasserlinie Werg rausgehauen hat. Es hängt am Püttingeisen und bewegt sich wie die Haare eines Märchenwesens hin und her. Tilmann steigt hinunter. Auf eineinhalb Meter ist die Naht lose. Das Schiff hat auf einigen Abschnitten kräftig gearbeitet. Skagerrak. Kattegat. Tilmann schlägt Werg nach und dichtet die Stelle notdürftig mit Spachtelmasse ab. Reingelaufen scheint jedoch nichts erst einmal. Wir laufen aus und umrunden nördlich Langeland. Nahe unter Land geht es dann die Küste entlang. Die Abdeckung bringt sehr ruhiges Wasser. So zieht der Kutter mit leichtem Plätschern, aber guter Fahrt seine Bahn. Ich verbringe meine Freiwache am Bug. An Land sind die Häuser, Bäume und Felder gut zu erkennen. Ich träume mich hinüber und wieder zurück. Wie der Name schon sagt, nimmt die Insel kein Ende und wir gleiten mit 7-8 Knoten dahin. Bei Wachwechsel gehe ich ans Ruder und merke, dass diese Idylle richtig Arbeit bedeutet. Ich lege die Taille auf. Derweil bindet der Skipper mit unserer Wache ein Reff ins Groß. Das ist bei dem Wind im Segel gar nicht so einfach. Das Groß wird mit der Dritten Hand runtergezwungen, auf gleiche Weise die Reffleine durchgesetzt.. Zwar nimmt der Wind erst einmal deutlich ab, so dass wir nur noch dahinschleichen. Für später und in offener See sind allerdings 5-6 Windstärken vorhergesagt. Mittlerweile wird es dunkel. Deutlich zeigt uns der Leuchtturm Keldsnor Fyr das südliche Ende der Insel an. Hinter der Spitze begrüßt uns kabbeliges Wasser. Wir queren das Kleine Belt Fahrwasser. Bei wenig Verkehr müssen wir nur auf die Tonnen achten. Um Mitternacht ist am Horizont das Feuer des Leuchtturms Kiel zu erkennen. 7 Leuchttürme habe ich heute gesehen Zufrieden gehe ich in die Koje.
Mittwoch, 15. August. Kieler Bucht - Kiel-Holtenau - Rendsburg. 39,5 Seemeilen.
Die andere Wache hat die Nacht noch viel zu tun. Welle und der Kurs hoch am Wind. Aufregung verschafft mein Containerschiff, das bei stehender Peilung ein Ausweichmanöver zunächst zur einen Seite, dann zur anderen Seite einleitet. Unser Kutter reagiert mit dem Versuch einer Wende, die schiefgeht, da das Schiff nicht abfällt. Auch bei einer weiteren Tonne will der Kutter nicht, wie er soll. Der Wind kommt inzwischen direkt von vorn, so muss die Maschine an, da gibt es kein Vertun. Die Schaukelfahrt geht weiter. Dieses Mal geht es mir gut und ich schlafe in der Koje. Die reparierte Naht bleibt dicht. Als es hell wird, laufen wir in Kiel-Holtenau ein und machen am Tiessenkai fest. Nach einem frühen Frühstück gehen wir alle in die Koje. Wieder ist viel nass geworden und kommt zum Trocknen an Deck. Tilmanns Neffen kommen an Bord. Tjark und Janek sind nicht zum ersten Mal dabei und werden uns den Rest der Reise begleiten.
Am frühen Nachmittag lassen wir uns einschleusen. Ziel für heute ist Rendsburg. Viel spannenden Verkehr gibt es nicht im Kanal, aber ein wunderschönes Sonnenblumenfeld am Nordufer. In Rendsburg gehen wir in den Stadthafen. Wir wollen abends zusammen essen gehen. Ich kenne die Stadt noch gar nicht und bin von den alten Häusern aus dem 17. Jahrhundert angetan. Am Alten Markt kehren wir ein. Auf die Teller gibt es riesige Portionen Bratkartoffeln, Steaks oder Koteletts oder ähnliches, daneben ein kühles Bier oder Wein. Schon im Kanal haben wir Bekanntschaft mit der sommerlichen Wespenplage gemacht. Tilmann und Stefan wurden gestochen. Hier in der Stadt ist es besonders schlimm.
Donnerstag, 16. August. Rendsburg - Glückstadt. 49,5 Seemeilen.
Morgens verholt ein Teil der Crew das Schiff in den Kreishafen. Die anderen gehen über Land zu den „Drive In“-Supermärkten direkt am Kanal. Neben dem täglichen Bedarf füllen wir den Wassergetränkebestand wieder auf und werden eine Menge Leergut los. Die Wasserflaschenlogistik beinhaltete schon eine kleine Kunst: So mussten die deutschen Pfandflaschen wieder zurück nach Deutschland, die Helgoländer waren ohne Pfand, die norwegischen mussten noch dort zurück, schwedische sollten erst gar nicht an Bord, die dänischen...ich weiß es gerade nicht mehr. Also aufgepasst, immer das „richtige“ Wasser trinken. Der Rest der Kanalfahrt gestaltet sich wieder sehr sonnig. Ein Schleppverband, Verkehrsgruppe 6, also ziemlich groß, überholt uns. Er transportiert drei riesige Röhren für eine Offshore-Anlage. In Brunsbüttel füllen wir unsere Dieseltanks wieder auf. Und treffen auf Gyde, Paul und Bosse auf ihrem Segelboot. 822 Liter haben wir verfahren, also beide Tanks etwa halbleer gemacht. Kaum auf der Elbe setzen wir die Segel. Auch das seit der Hinfahrt „schlafende“ Großtopp kommt wieder zum Einsatz. Es ist ein denkwürdiger Augenblick: Wir haben ganz Jütland umrundet, das ist 'ne Menge Land. Nun sind wir wieder auf unserem Strom. Endlich wieder Tidengewässer. Mit achterlichen Wind geht es elbaufwärts. Uns begegnet ein Containerriese nach dem anderen, als ob wir da was nachzuholen hätten. Einer bringt ordentlich Schwell, sozusagen eine Skagerrak-Kattegatt-Kieler-Bucht-Gedächtniswelle. Einmal mehr ist das Deck nass.Abends hat uns Glückstadt wieder. Ewigkeiten her kommt es mir vor, auf der Hinfahrt hier gewesen zu sein. Ach wie schön, dass es noch einmal Pizza aus der Pfanne gibt.
Freitag, 17. August. Glückstadt – Hamburg-Oevelgönne. 28,7 Seemeilen.
Da wir erst mit auflaufender Tide am Nachmittag los wollen, bleibt viel Zeit, den aufziehenden Landregen an Bord zu genießen. Nun wird mal gespielt. Andere gehen wieder in die Koje. Alle sind nachhaltig erschöpft. Die lange Reise und all die Anstrengungen haben Spuren hinterlassen. Tenor: „Schön war's, aber jetzt darf es auch zu Ende gehen.“ Als wir dann Glückstadt verlassen, wird es doch noch einmal ein sehr schöner Segeltag. Tilmann – auf der gesamten Reise beim Ruder gehen deutlich zu kurz gekommen – lässt sich die Pinne heute nicht aus der Hand nehmen. So segeln wir unter Vollzeug Hamburg entgegen. „Rolling home...“ Ach, und erwähnt sei, dass Henning seine Ankündigung wahr macht, den Besan alleine zu setzen und damit deutlich vor den Leuten am Groß fertig wird. In Wedel werden wir von Ufer aus von Johanna und Uwe begrüßt. An Stadt- und Hafengrenze gibt es bei romantisch untergehender Sonne mein Lieblingsgericht, das wohl noch auf keiner Reise gefehlt hat: Gefüllte Paprika. Kurz darauf begrüßt uns - auf uns zuhaltend und knapp begegnend - die Johanna von der Stiftung Maritim. „Willkommen zurück.“ Sehr freundlich. Und nun läuft auch noch die Queen Mary II aus. Bei Jacobs donnern mehrere Kanonenschläge. Es ist schon dunkel (halb zehn und schon dunkel! Wie anders war es im Norden.), als wir im Museumshafen festmachen. Topp- und Vorsegel gepackt kommt die Zeit für ein letztes Anlegebier oder Glas Wein auf dieser Reise. Wir bleiben alle noch eine Nacht auf dem Schiff. Am 18. sind wir gekommen, am 18. gehen wir von Bord. Ein Monat und 982 Seemeilen liegen hinter uns. Das entspricht exakt der Hinreise nach Brest und Douarnenez vor sechs Jahren. Wir sind mehr gesegelt als motort – ein wenig mehr. Wir waren in Norwegen, in Schweden und in Dänemark. Wir sind über die Nordsee und die Ostsee gesegelt, haben das Skagerrak und das Kattegat gequert. Wir haben viel Spaß zusammen gehabt, gut zusammen gearbeitet und gelebt und werden all die Erfahrungen und Erlebnisse niemals missen.