„Tonnerre de Brest 2012“ - mit der Maltzahn auf langer Fahrt
Ein Bericht
Freitag, 22. Juni. Die Reise beginnt. Es ist Freitagabend und ich habe unter den Tagesgästen meine Großfamilie mit an Bord; darunter auch ein Bretone – wir fahren nach Brest! Unterwegs überrascht uns eine Gewitterwolke mit Sturmböen, heftigem Regen und extrem schlechter Sicht. Ich muss mich ordentlich in die Decksplanken stemmen, um die Pinne zu halten. In Glückstadt verabschieden wir zufriedene Menschen.
Samstag, 23. Juni. Die Fahrt aus der Elbe heraus wird zur ersten Bewährungsprobe. Bei zwei Metern Welle ist die halbe Crew am Kotzen. Mitten in der Nacht erreichen wir Helgoland.
Sonntag, 24. Juni.Schietwetter verbringt man am besten unter Deck. Wir spielen stundenlang „Regatta“ und lassen fünf drei sein. Bernd repariert eine Gitarrenseite mit einem Liebesknoten. Abends lockt die Kneipe mit Fußballübertragung, aber vor allem Auflademöglichkeiten fürs Handy.
Montag, 25.Juni. Inseltag. Ich erkunde Ecken, die ich bislang nicht kannte; besonders idyllisch: der von Blumen umrankte „Wasserfall“. An Bord experimentiert Almut mit einem Sonnensegel. Anja installiert mit einem langen (sehr langen) blauen Bändsel einen Klingelservice für die Landgänger; ohne Schiff-Heranziehen geht es nicht.
Dienstag, 26. Juni. Um 4 Uhr aufgestanden, geweckt von Manaus Dudelsacktönen. Doch die Abfahrt wird verschoben. Um 7 Uhr abermals aufgestanden und die Abfahrt wird erneut verschoben. Um 10 Uhr dann wieder hoch, um einen weiteren Tag im Hafen zu verbringen. Auf dem Kai wird an den neuen Festmacherleinen gearbeitet. Eine Parkbank wird von uns für den ganzen Tag in Besitz genommen. Dahinter hoppelt ein merkwürdig aussehendes Kaninchen herum. Später gibt es Hafenkino mit der Vegesack.
Mittwoch, 27. Juni.Endlich wieder unterwegs! Wir brechen früh auf nach Süden, zu den ostfriesischen Inseln und dann westlich die Küste entlang. Leider muss wieder die Maschine mitlaufen; leider auf der ganzen Reise viel zu viel. Beim Passieren einer holländischen Plattform werden wir mit kritischen Augen verfolgt. So ein alter Kutter eignet sich schließlich hervorragend zur Industriespionage. Nachts querab Ameland. Weiter!
Donnerstag, 28. Juni.Nach 36 Stunden und 220 Seemeilen erreichen wir Scheveningen (Den Haag). Kurios: Eine alte Kollegin von mir, die etwas nördlich ihren Urlaub verbringt, sieht uns draußen vorbeifahren. Wir sagen „Hallo“ – per SMS. Nachdem auf See die üblichen mehreren Schichten nötig waren, schlagen uns im Hafen schwülwarme, nach gammeligen Fisch stinkende 30 Grad entgegen. Der heruntergekommene Fischkutter neben uns hat das gleiche braune Schanzkleid, nur eben vor Rost. Dieser gemütliche Liegeplatz wir uns 80 € kosten – aber abwarten, das ist noch zu toppen. Abends verabschieden wir im Brauhaus die deutsche Elf aus der Europameisterschaft.
Freitag, 29. Juni. Ha, wir segeln! Erst bei schwachen Winden, die dann stetig zunehmen. Ebenso die Wellen, die je nach querlaufender Tide zwei, dann auch mal drei Meter erreichen. Sportliches Klüvertauchen. Es geht Richtung England. Ich werde erstmalig ein wenig seekrank; zum Glück bleibt es das einzige Mal.
Samstag, 30. Juni.Morgens laufen wir in Lowestoft, nördlich der Themsemündung, ein. Es gibt britain like deftiges Frühstück: Bratwurst mit Kartoffelbrei und Apfelmus. Ich betrete zum ersten Mal englischen Boden. Ein netter kleiner Hafen, ein Traditionsschiffponton, passende Hinweisschilder überall, nur: Wir sind das Einzige dieser Art. An Land ist Armed Forces Day, ziemlich kurios, schräg und ganz normal; am Strand in Uniform spielende Kadettenkinder. Am späten Abend verlassen wir wieder den Hafen.
Sonntag, 1. Juli. Es geht nach Süden; wir kreuzen die Themsemündung. Bei einem chaotischen Manöver wässern wir den Klüver; das Groß muss ebenfalls runter. Die Welle nimmt zu (schließlich 3-4 Meter). Die sonst kaum Lage schiebende Maltzahn legt sich schon mal auf 45 Grad. Mein Herz klopft! Das habe ich noch nicht erlebt. Das ganze Schiff ist nass, nun auch meine bislang immer trockene Koje. Wir beschließen, Dover anzulaufen. Im Hafen Aufatmen bei NudelHüPü (Man nehme einen Rest Kartoffelbrei, vermische ihn mit einem Rest Hühnerbrühe mit Nudeleinlage) – heiß und erstaunlich schmackhaft und schnell gemacht; genau richtig nach all der Anstrengung.
Montag, 2. Juli. Der Blick landwärts ist ganz beschaulich. Ein römischer Leuchtturm aus dem 1. Jahrhundert auf dem Hügel, im Hintergrund die typischen weißen Kalkfelsen – nur: Wir kommen nicht an Land, wir dürfen nicht über das nebenliegende Arbeitsschiff klettern. Weil dieses dann auch noch los will, verholen wir morgens in den Vorhafen. Der ist kabbelig, ständig kommen und gehen Fähren (Dover, der größte Passagierhafen der Welt). Wir gehen schlafen, wollen abends weiter. Bevor wir uns davon machen können, kommt leider noch der Hafenmeister und fordert horrende Gebühren; am Ende bezahlen wir für den rundum fehlenden Service 70 Pfund.
Dienstag, 3. Juli. Wieder eine Nachtfahrt. Drei Stunden die Augen auf den schwach rot erleuchteten Kompass, Kurs 240; drei Stunden Nieselregen und schlechte Sicht – aber knapp 7 Knoten. Wir kommen voran! Und nicht, dass ich nach so vielen Jahren auf dem Schiff schon alles erlebt hätte: Während der Fahrt unter Deck duschen, der Boden rutschig, die Schiffsbewegungen ausgleichend – nicht ganz einfach. Wir lassen die englische Küste hinter uns und überqueren den Ärmelkanal Richtung Cherbourg. Ich lass mir essensmäßig was Neues einfallen: Es gibt The Channel Stew, lecker! Anja hat mir Tri Martolod ins Deutsche übersetzt, ich versuche es singbar zu machen. Der Tag endet mit der dritten Regenwache.
Mittwoch, 4. Juli. Morgens um 4 Uhr kommen wir auf Alderney an, der nördlichsten Kanalinsel – dieses Mal 200 Seemeilen in den Beinen (und Armen und überall). Wir ankern in der Braye Bay und lassen den Milchzahn zu Wasser. Noch wissen wir ja nicht, dass Daisy, die hübscheste Frau Alderneys, das Wassertaxi skippert. Ich besteige einen der Festungshügel an der Bucht, eine Mischung aus viktorianischer Anlage, Nazibunker und staatlichem Abstellplatz. Ich klettere ein bisschen herum und habe grandiose Ausblicke auf die Bucht und den Kutter. Anschließend geht‘s Baden und am Schluss gibt’s noch eine heiße Dusche an Land. Abends packt Anja ihren Dudelsack aus und es wird noch so einiges Liedgut spontan umgedichtet. Der Sonnenuntergang ist so pittoresk, dass überall an Deck Crewmitglieder mit Fotoapparaten in der Hand umherirren.
Donnerstag, 5. Juli.Nach Backschaft und etwas Arbeiten am Schiff steht Landgang an. Alderney ist klein und wunderschön. Gleich hinter dem kleinen Hafen ist man mitten in der Natur und begegnet keiner Menschenseele. Ich umrunde die halbe Insel, auf dem Weg zu den Basstölpelfelsen und der Steilküste. Tief sauge ich die Landgerüche in mich hinein. Hierhin komme ich gerne wieder. In der Ferne sieht man die anderen Kanalinseln und auch das Festland. Ich stoße auf einen Teil der Crew und gehe mit Günter in St. Anne essen.
Freitag, 6. Juli. Wir verlassen Alderney durch den Swinge, einen tückischen Gezeitenstrom westlich der Insel. Auf dem Weg nach Guernsey erlaubt uns der Wind endlich mal wieder, ohne Maschine zu segeln. Wir ankern vor St. Peter Port. Der Anker hält nicht und so bringen wir – ein Novum, jedenfalls seit Crewgedenken – den Stockanker aus, den wir mit dem anderen Anker verkatten. Trotzdem gilt es Ankerwache zu gehen.
Samstag, 7. Juli.Der Wind hat gedreht und bläst in die Bucht hinein. Beim Frühstück müssen wir schon das Geschirr festhalten. Die anderen Ankerlieger machen sich davon und uns schwant nichts Gutes. Der längsseits liegende Milchzahn schaukelt gegen die Bordwand; die Wellen drücken die Fender weg, im Boot steht schon ordentlich Wasser. Um schnell in den sicheren Hafen zu kommen, beschließen wir, die Anker – mit einem Kugelfender gesichert – zu slippen. Wir fahren los und kurz darauf reißt die Vorleine unseres Beibootes. Nach achtern verholt schleppen wir den Milchzahn rückwärts mit in den Hafen und beten, dass er durchhält. Das tut er, obwohl am Ende außer dem Vorsteven nichts mehr aus dem Wasser ragt. Wir gehen längseits der Petrine, einem See-Ewer, der auch nach Brest unterwegs ist. Mit Mertens tatkräftigem Einsatz im Hafenbecken kriegen wir das Boot an die Backstagen und können es leer lenzen. Es ist allerdings achtern so viel kaputt, dass nicht daran zu denken ist, es an Bord zu holen - also an Land. Wir spielen wieder Regatta und suchen abends den Pub mit den se… - nein, das schreib ich nicht.
Sonntag, 8. Juli. Ich habe Geburtstag! Und werde am Frühstückstisch mit Geschenken und einer Pfannkuchentorte überrascht. Ich bin echt gerührt. Nicht zuletzt, da auch heimlich ein Päckchen von meiner Liebsten zu Hause mitgeschmuggelt worden ist. Von der Crew bekomme ich einen Gutschein für eine Kochschürze aus einem Hafenort der Reise und ein englisches Kochbuch „Heute kochen, morgen essen“; sehr passend. Aber erst einmal steht das Anker-Bergen an. Ich wünsche mir, dass weder Leute noch Schiff zu Schaden kommen. Wir fahren hinaus in die Bucht und das Elend beginnt. Am Ende brauchen wir sechseinhalb (6 ½!) Stunden, um beide Anker aus dem Wasser zu bekommen; anstrengend, aber mit Happy End. Zurück im Hafen gibt’s ein ordentliches Geburtstagskaffeetrinken, mit der Torte und so. Auf Helgoland hatte ich Baileys und Portwein besorgt. Das stößt durchaus auf Gegenliebe.
Montag, 9. Juli. Noch ein Tag auf Guernsey. Bernd und Günter reparieren erfolgreich den Milchzahn; ich gehe mit Anja einkaufen und die City erkunden. St. Peter Port ist keine Hafenperle und vom Rest der Insel sehen wir nicht viel; von mir aus können wir weiter.
Dienstag, 10. Juli. Und es geht weiter! Mittags brechen wir auf, wieder den Wind gegen an. Bald ist die bretonische Küste in Sicht; Ile de Batz, Ile Vierge – das Feuerwerk bretonischer Leuchttürme beginnt. Nirgendwo sonst an der französischen Küste gibt es so viele phares. Zuhause stehen dicke Bücher darüber.
Mittwoch, 11. Juli.In meinem Tagebuch habe ich diesen Tag einfach unterschlagen, zusammengezogen mit dem Tag zuvor. Weil: Es passiert nichts Besonderes. Gewohnter Wachrhythmus, drei Stunden Fahrwache, drei Stunden Freiwache, drei Stunden Bereitschaftswache, die man meistens auch noch schlafen kann. Es geht an der Küste entlang. Unterwegs begegnen wir anderen Traditionsseglern auf dem Weg nach Brest. Leider nur schwach zu sehen: Der Phare du Four, an der Schwelle zum Atlantik. Hier entstanden die berühmten Fotos Jean Guichard, wo eine Welle den Turm fast bis zur Spitze umhüllt. Abends holen mich die langen, größeren Wellen der Atlantikdünung aus der Koje. Draußen ist Ouessant zu sehen. Wir umsegeln (!) die nordwestliche Spitze des Départements Finistère, dem Ende der Erde (wenn‘s nach den Franzosen geht), bei schönster Beleuchtung – ein Gedicht. Nun ist Brest nicht mehr weit!
Donnerstag, 12. Juli. Ich erwache von den Geräuschen der Ankerkette. Die Rade de Brest ist erreicht, eine fast geschlossene große Bucht vor den Toren der Stadt. Ein erster französischer Segler zieht vorbei; wohlwollendes Genicke, der Daumen nach oben – wir sind angekommen. Nachmittags wechseln wir in den Hafen. Die Kommunikation ist schlecht, wir wissen nicht, wo wir hin sollen. Erst an einen Schlengel, dann doch an eine Kaimauer, nur wo? Eineinhalb Stunden ziehen wir Kreise im Hafenbecken (alles im Regen, wir total durchnässt); endlich festgemacht, sollen wir nach einer Stunde wieder verholen und am nächsten Morgen sowieso woanders hin. Trotz allen verständlichen Organisationschaos eines so großen Festes wünscht man sich ein bienvenue nach einer so weiten Fahrt doch anders.
Freitag, 13. Juli. Wir verholen an den uns zugedachten Platz, Fünferpäckchen ganz innen; hier werden wir das ganze Fest über liegenbleiben. Ich verbinde das obligatorische Einkaufen mit einem ersten Landgang. Brest ist nicht schön; doch wenn man nichts erwartet, findet man doch nette Ecken. Abends gibt es an Bord Crepes á la carte; nach der vielen Bodenständigkeit mach ein wenig Dekadenz auch Spaß! Das allabendliche Feuerwerk ist wieder grandios; dazu wabert aus den riesigen Boxen, mit denen der ganze Hafen eingedeckt ist, ein glücklicherweise geschmackvoller Chillout-Mix, der einen allerdings erst um ein Uhr nachts zu Ruhe kommen lässt.
Samstag, 14. Juli. Es ist französischer Nationalfeiertag. Ich laufe über das halbe Gelände. Das Fest ist riesengroß, größer als unser Hafengeburtstag. Ich bleibe an jedem zweiten Stand hängen; was auch daran liegt, dass es hier viel mehr Kulturelles an Land gibt, nicht nur die üblichen Fressstände. Es gibt länderbezogene Schwerpunkte, Bootswerkstätten, Bücherstände, Theater, Maler, Vereinigungen hierzu, dazu… Überall dazwischen Bühnen mit maritimen Chören oder Folkgruppen. Durch das Gedrängel ziehen Dudelsack spielende Trachtengruppen oder schräg gekleidete Blasorchester. Die Luft vibriert, im Hafenbecken ist ein Kommen und Gehen. Es gibt viel zu sehen! Zurück an Bord ist die Fock der rechte Platz zur Erholung; von Land aus wohl sehr pittoresk, da ständig zwei, drei Menschen ihren Fotoapparat zücken. „Abends gebechert“ – verzeichnet mein Tagebuch.
Sonntag, 15. Juli. Heute kommt die andere Hälfte des Festes dran. Ein Highlight sind die vielen, in einer Halle hängenden bemalten Bretter, die die Crews in all den Jahren während des Festes bemalt haben, über tausend wunderschöne Bilder, darunter auch die Salty Old Men einer früheren Maltzahncrew – alles sehr beeindruckend! Heute liegt Dunst in der Bucht; die Masten der russischen Großsegler verschwinden im Nichts. An Bord ist Open Ship, bei Hochwasser gut machbar, sonst nur was für Kletterer. Gerne erzähle ich drei jungen Französinnen so viel über den Kutter, wie sie hören wollen. Danach ist wieder das Fotomodelling in der Fock dran. Ach, und Gitarre hab ich mal wieder gespielt (nicht, dass da nicht schon genug Musik gewesen wäre…).
Montag, 16. Juli. Heute verlasse ich das Festgelände (abgesperrt; 15 € Eintritt!) und gehe in die Innenstadt. Ziel – wie immer auf Reisen – sind ein Buchladen und eine CD-Shop. Der relativ unfreundliche, aber doch kompetente Verkäufer verhilft mir zu den gewünschten französischen Shanties und modernem Crossover. Günter verliere ich unterwegs und finde ihn wieder – abends macht er Fisch; sehr lecker. Und Postkarten schreibe ich; schließlich ist der Wendepunkt der Reise erreicht.
Dienstag, 17. Juli. Anja hat Geburtstag! Ich gehe shoppen; ein Vareuse, ein T-Shirt, ein Kapuzenpulli – alles mit Brest- und Festbezug. Ein Buch mit gemalten Leuchttürmen, ein Bändchen über französische Fischerboote. Im Hafen liegen viele schöne Gaffelsegler; aber besonders angetan haben es mir die beiden Bisquines-Nachbauten aus Cancale und Grandville, dreimastige Logger mit einer Art von Rahsegeln, nicht mittig angebracht, mit großem Vorsegel, und extrem schnell! Abends überrascht uns die Geburtstagsmaschinistin mit Rotbarbe und Kir breton.
Mittwoch, 18. Juli. Ich kaufe mir mein Crewgeburtstagsgeschenk: eine bretonische Kochschürze. Heute lädt die Sigandor zu einem Abend der deutschen Schiffe, fünf an der Zahl. Das scheint sich nicht richtig herumgesprochen zu haben – ich komme als Einziger und unterhalte mich trotzdem nett. Bei uns an Bord ist Crewwechsel. Obwohl eine ganze Woche hier und bei so vielen Schiffen im Becken lasse ich mich zu nur einem Besuch woanders verleiten: auf der Notre Dame de Rumengol, einer Gabarre, mit der wir schon bei unserem Eintreffen Bekanntschaft machten.
Donnerstag, 19. Juli. Heute endet das Tonnere de Brest und es beginnen die temps fête in Douarnenez, eine Bucht weiter südlich. Dazwischen liegt die Grande Parade, eine Überfahrt, an der die meisten teilnehmen und die prächtige Bilder abgibt. Wir segeln bei bestem Wetter. Mit an Bord 20 holländische Teenager, im Schlepp ihre zwei kleinen Segeldingis. Wir umrunden die Halbinsel von Crozon und passieren dabei die vorgelagerten Tas de Pois, die „Erbseninseln“. Das wird zu einem großen Abenteuer: Die Öffnung zwischen den Felsen ist nur wenige Schiffslängen breit, und hindurch quetschen sich viele der etwa tausend Segler und Motorboote. Auf der Steilküste viele Zuschauer und darüber Hubschrauber, die das Ganze von oben bestaunen. Nachmittags machen wir an einer Mooring vor Douarnenez fest, wo sich uns für die nächsten Tage ein traumhaftes Rundumkino bieten wird. Es herrscht ein Kommen und Gehen, und hier draußen bietet sich die Chance, andere Boote direkt aus der Nähe unter Segeln zu sehen. Abends gehen wir an Land essen; ich lasse mich zu Froschschenkeln verleiten. Leider gibt es schlechte Nachrichten von Zuhause; meine Mutter ist schwer erkrankt und ich überlege mir, ob ich die Reise vielleicht abbrechen muss.
Freitag, 20. Juli. Das Fest ist nett (kleiner und beschaulicher als in Brest) und Douarnenez ein ganz hübscher Ort. Hier ist das größte Hafenmuseum Frankreichs. Auf einer Bühne singen Les Pirates, fünf junge Frauen, Seemannslieder. Sonst in der Regel von Männerchören basslastig toniert, sind diese Interpretationen sehr angenehm; einige Wochen später, wieder zuhause, wechseln wir ein paar Worte auf facebook. Ich mache mit Rudi eine kleine Hafenrundfahrt im Milchzahn und wir besuchen die Hesper, einen schnellen Lotsenkutter, dessen riesige britische Flagge uns bei der Überfahrt als Orientierung diente. Ich habe mitbekommen, wie die Maltzahn von einem Crewmitglied gezeichnet wurde. Wir wollen die Frau treffen und das Bild sehen.
Samstag, 21. Juli. Erneut an Land, diesmal zum Baden. Merten und ich packen uns an einen schönen Sandstrand und genießen die „bretonischen Verhältnisse“. Philip stößt hinzu, die Rückfahrercrew ist nun komplett. Zusätzlich nehmen wir noch Michi mit, einem auf Wanderschaft befindlichen Bootsbauer. Mit seinem Yippieh bei jeglichen Decksarbeiten wird er noch mein Herz erfrischen. Ein Glücksfall.
Sonntag, 22. Juli. Wir verlassen morgens die Bucht von Douarnenez und die Bretagne Richtung Scilly Islands. Der Atlantik ist ruhig wie ein Binnensee. Von Steuerbord grüsst zwischen Klosterruinen der „phare St. Mathieu“, der älteste bretonische Leuchtturm. Nachts passieren wir die Scillies und segeln weiter.
Montag, 23. Juli. Wenig Wind und die Dünung des Atlantiks lassen den Klaufallnagel brechen. Den ganzen Tag über nur Wasser, keine Schiffe. Dafür Delphine, die sich direkt vor und neben unserem Bug tummeln. Abends sind die ersten Lichter Irlands zu sehen.
Dienstag, 24. Juli. Ich lerne ein Wort: drizzle – es nieselt. Ich werde nachts aus der Koje geholt, um am Ruder abzulösen. Auf der Irischen See herrscht starker Nebel und extrem schlechte Sicht. Irgendwann taucht der Leuchtturm am Wicklow Head auf, tiefgeduckt am Hang, darüber dicke Nebelschwaden. Kurz darauf machen wir in Wicklow fest und ich bin das erste Mal in Irland. Auf Landgang lerne ich in seinem Musicstore Sean kennen, meinen ersten Iren, und schließe gleich Freundschaft. Er schenkt mir eine CD von sich und kommt abends zum Schiff und an Bord, um mit mir ein paar Lieder zu singen. Rudi lernt Pat, den Postboten, kennen, der – wie viele andere Interessierte – auch zum Schiff kommt, viele Fotos macht und später dafür sorgen wird, dass die Maltzahn neben anderen Schiffen auf der Kaimauer im Bild verewigt wird. Ich fühle mich hier sehr wohl. Die Menschen sind offen und freundlich; alles ist recht normal und nicht touristisch hochgepeppt. Wir bekommen kostenlos und ohne groß zu fragen Reparaturmaterial vorbeigebracht und sind für einen Tag die Attraktion im Hafen. Und natürlich darf ein gemeinsames Guinness mit Stefan nicht unerwähnt bleiben. Oder der leckere Whiskey am Abend. Und natürlich auch nicht der kross gebratene Wittling davor.
Mittwoch, 25. Juli. Es folgt ein schöner Segeltag, sehr genussvoll, allerdings ohne dass wir wirklich Strecke machen. Wir kreuzen die Dublin Bay. Dann bricht eine Öse am Großmast, die das Piekfall hält. Die Gaffel sackt abund ich werde von auf mich niederkommenden Leinenbuchten aufgeschreckt. Wir laufen Howth an. Dort werden wir vom Hafenmeister freundlich aufgenommen. Michi geht in den Mast, aber da eine Reperatur nicht möglich ist, riggen wir das Fall einen Mastband höher. Der Ort liegt nur 15 Kilometer vor Dublin, recht touristisch, trotzdem ganz nett.
Donnerstag, 26. Juli. Wir wollen weiter und Strecke schaffen. Es geht entlang der Küste; achtern aus verschwinden die Wicklow Mountains, voraus wachsen die die ersten Berge Nordirlands empor. Dann in der Nacht ein Bild zum Träumen: Oben der Mond, darunter, klein, die Lichter von Belfast. Zum Einschlafen höre ich Simple Minds‘ „Belfast Child“.
Freitag, 27. Juli. Morgens das nächste Hammerbild: Hinter uns die steile, raue nordirische Küste; auf Backbord Rathlin mit zwei Leuchttürmen und auf Steuerbord geht die Sonne über der Mull of Kintyre auf. Wir segeln hinüber nach Schottland und ankern abends vor Islay, der südlichsten Insel der Inneren Hebriden.
Samstag, 28. Juli. Die zahlreichen Whiskybrennereien bleiben - wie das ganze Inseldasein - von uns unbesucht. Wir setzen Segel, lichten den Anker und ab geht es in den Jura Sound. Das Wetter zeigt sich schottisch, d.h. von allen Seiten: mal kalt, mal nass, mal sonnig – und immer mit atemberaubenden Ausblicken. Wir ankern, um die Tide abzuwarten. Das wird heute unser besonderer Ankertag. Selbiger hält nicht, wir müssen weiter, aber mit bestem Segelwind. Die Straße von Corryvreckan zeigt sich leider fast strudellos von ihrer ruhigen Seite. Nächste Ankerbucht - wieder kein Glück. Am Ufer hockt eine Familie und beobachtet unser Kettengerassel. Schließlich ankern wir – mit Wache – im Puilladobhrain.
Sonntag, 29. Juli. Beim Verlassen der Bucht können wir einen kurzen Blick auf die Bridge over the Atlantic werfen, eine alte, eher kleine Steinbrücke mit großem Namen. Aber ja, wir sind hier noch im Atlantik. Wir durchqueren den Firth of Lorne Richtung Oban, wo wir erneut ankern. Oban bietet nicht viel, aber doch Banken für schottische Pfund, Einkaufsmöglichkeiten und mein erstes Mal auf schottischem Boden, inklusive Fish and Chips. Wir verabschieden Michi, der seine Wanderschaft fortsetzt.
Montag, 30. Juli. Nach einem halben Tag Motoren erreichen wir den Caledonian Canal. Vor uns liegen knapp hundert Kilometer mit 29 Schleusen. Wir machen in Corpach fest; endlich mal wieder ohne ankern und mit ein paar Gläschen am Abend. Die Kulisse um uns herum ist grandios. Beschaulich zwischen den ersten beiden Schleusen liegend laden Wege zum Erkunden ein. Ich besuche ein altes am Ufer liegendes Wrack; auf der anderen Seite gehen allmählich die Lichter von Fort William an. Und über allem wacht das mächtige Massiv des Ben Nevis, des mit 1344 Metern höchsten Berges Großbritanniens. Auf dem Weg zum Pub zieht der Hogwarts-Express an uns vorbei. Bei ein paar Guinness spielen wir Billard und Dart und treffen auf Liberty (insbesondere Merten).
Dienstag, 31. Juli. Heute ist Schleusentag. Viele, viele Locks und zwei Lochs gilt es zu durchqueren; hinzu kommen ein paar Drehbrücken. Dann ist Fort Augustus erreicht und wir sind übern Berg.
Mittwoch, 1. August. Hier beginnt das wohl berühmteste Loch, das Loch Ness. Der See ist lang und breit und ich plädiere für einen Versuch zu segeln. Das gelingt, schließlich auch ohne Maschine, und so können wir lautlos über die Stelle hinweggleiten, wo sich – wie man ja weiß – the monster gerne tümmelt; Glück gehabt! Noch ein Stück Kanal, mit Ausblicken auf den parallel laufenden Fluss, und Inverness kommt in Sicht, die Hauptstadt der schottischen Highlands, mir aus einer Menge von Romanen bekannt. Kulinarisch macht der Präsident Freiherr am Abend Bekanntschaft mit Rindergulasch.
Donnerstag, 2. August. Ich stehe um halb sechs in der Frühe auf, um vorm Frühstück die Stadt zu erkunden. Sie entpuppt sich als keine Schönheit, recht grau, viele Häuser stehen zum Verkauf. Alles hat noch zu, vereinzelt gehen Leute zur Arbeit – nur MacDo verhilft mir zu einer Toilette und einem heißen Kaffee. Nach dem Frühstück folgt ein – unverhoffter – zweiter Besuch; ich vertraue auf den Rat eines Verkäufers im Musicstore und lerne somit die schottische Band Runrig kennen – ein Glücksgriff. Mittags verlassen wir Inverness Richtung Moray Firth. Hier begegnen wir der Brücke, die uns ob ihrer geringen Höhendifferenz zu unserem Großmast im Vorfelde ein wenig Kopfzerbrechen bereitet hat. Alles geht gut und wir schippern die Küste entlang gen Nordsee. Nachts laufen wir in MacDuff ein, mit der Absicht uns trockenfallen zu lassen, um ein Leck zu stopfen. Wir müssen diesen kleinen Hafen unverrichteter Dinge wieder verlassen.
Freitag, 3. August. Morgens erreichen wir Peterhead – und schleppen Sandaale und damit einen Haufen Makrelen mit in den Hafen ein; das (recht schmutzige) Wasser brodelt, ein Fest für die Angler und die beiden Seehunde im Becken. Ein erneuter Versuch trockenzufallen schlägt fehl. So bunkern wir Lebensmittel für den großen Schlag über die Nordsee und gönnen uns noch einen Abend Ruhe.
Samstag, 4. August. Die Nordsee empfängt uns mit viel Nebel. Immerhin gibt es kaum Schiffsverkehr, nur ein paar Bohrinselversorger sind auszumachen.
Sonntag, 5. August. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, nach Hause zu fahren. Wir passieren das Devil‘s Hole, neben der Norwegischen Rinne mit 230 Metern die tiefste Stelle des Meeres. Die Sonne sticht, der Wind bläst mäßig. Wir gehen an den Dosenvorrat.
Montag, 6. August. Nachts zieht eine breite Gewitterfront auf. Es blitzt von allen Seiten und bei dem Gedanken, da hindurch zu müssen, wird mir ein wenig mulmig zumute. Doch die See bleibt ruhig; nass werden wir nur von oben und das kräftig. Während ich proudly british Marmelade frühstücke, durchfahren wir die Stelle, wo wir mit etwa 140 Seemeilen am weitesten von allem Land entfernt sind. Ein großer Containerfrachter voraus hält genau auf uns zu. Nachdem ich den Kurs 10 Grad nach Steuerbord ändere, tut er das auch. Wir passieren knapp die Doggerbank und gedenken der Zeiten, als die Maltzahn dort noch auf Thunfischfang ging. Das Angelglück unseres Skippers beschert uns drei Hornhechte; lecker, aber viele Gräten.
Dienstag, 7. August. Nachts müssen wir den Klüver wechseln und das Groß reffen. Es werden Gewitterböen erwartet. Wir fliegen bei Windstärke 6 und 2 bis 3 Meter hohen Wellen Richtung Helgoland, teilweise mit gut 10 Knoten Fahrt. Anders als sonst gewinnt die Insel schnell an Größe. Als wir im Südhafen einlaufen, ist die Freude bei allen groß; wir haben die Nordseeüberquerung gut überstanden und können uns ein wenig ausruhen.
Mittwoch, 8. August. Ich mache mich allein auf Inselrundgang und bin froh, mal nicht die üblichen Gesichter zu sehen; anstatt dessen wieder Ecken, die ich noch nicht kannte. Anschließend irritiere ich – in der Fock liegend und mit Kopfhörern laut Musik hörend – singender Weise die zaungästigen Touristen auf der Mole. Ich koche mal wieder Putanesca, wir sitzen noch lange an Deck und ich gehöre - anders als sonst - mal zu den letzten, die in die Koje gehen.
Donnerstag, 9. August. Ein kurioser Tag. Alles anders als geplant. Die überbuchte Gästefahrt findet nicht statt. Bei Bauarbeiten wurden zwei Bomben gefunden; der Südhafen und umliegendes Gelände werden gesperrt. Die Maltzahn verlässt den Hafen, um zwischen den Inseln vor Anker zu gehen. Ich hocke an Land, mit dem frischen Einkauf, schleppe ihn hin und her, weil nichts klar ist. Aufgrund der Dialoge an der Absperrung zum Liegeplatz kriege ich tiefere Einblicke ins Inselleben. Für den nächsten Tag planen wir zwei Gästefahrten.
Freitag, 10. August. Was für ein Spaß! Wind und Welle sind nicht ohne. Aus Rücksicht auf die Gäste bleiben wir während der Fahrten in der Inselabdeckung. Trotzdem gibt es Momente, wo’s ordentlich schaukelt. Bei der zweiten Fahrt koche ich unter schwierigsten Bedingungen: Eine Hand hält den Topf fest, die andere versucht, etwas zu schneiden. Die Gäste nehmen es überwiegend gelassen; der Hunger hält sich allerdings in Grenzen. Ich bin müde und freue mich auf zu Hause.
Samstag, 11. August. Ein warmer Tag mit wenig Wind; unter Maschinenfahrt geht es entspannt Richtung Festland. Auf der Elbe können wir noch einmal ein wenig segeln und machen dann abends in Glückstadt fest – überraschender Weise neben der Moewe, die gerade zu einer Sommerreise gestartet ist. Es ist schön, bei einem Anlegerbier wieder vertraute Gesichter zu sehen. Das Ende der Reise ist nah.
Sonntag, 12. August. Früh geht’s los; die Tide verlangt’s. Wie häufig auf der Hinfahrt der Reise kommt der Wind wieder von vorne. Dafür ist es knalle warm und – hier im Fluss – ländliches Klima zu spüren. Bei Blankenese werden wir von Schiffen aus dem Museumshafen empfangen. Ottenstreuer, Präsident Schäfer und Stek ut geleiten uns das letzte Stück bis in den Hafen. Siebeneinhalb Wochen auf der Maltzahn gehen zu Ende. Eine tolle Zeit! Ich gehe an Land und habe gerne wieder festen Boden unter den Füßen.
Christoph von Hören